14.7.2022: Europäischer Gerichtshof urteilt  zum Thermofenster

Abgassskandal und kein Ende

 Die oberste europäische Gericht hat am 14. Juli 2022 entschieden, dass die bei VW, Daimler und anderen Herstellern verwendete  Abschaltung der Abgasreinigung in Form eines Thermofenstes illegal ist. Damit ist aus Sicht des EuGH sogar das Software-Update zum VW-Skandalmotor EA189 eine unzulässige Abschalteinrichtung (Az.: C-134/20). VW-Kunden sind mit dem Update ein zweites Mal getäuscht worden. Aus Sicht der Verbraucherkanzlei Dr. Stoll & Sauer rollt mit dem Urteil eine neue Klagewelle.

EuGH erklärt im Abgasskandal Rechtfertigung "Motorschutz" klare Absage

Der EuGH befasste sich  mit dem manipulierten VW-Motor des Typs EA189. 2017 wurde dem Auto das vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) genehmigtes Software-Update aufgespielt. Wenig später ging der Verbraucher juristisch gegen VW vor und verlangte Schadensersatz. Das im Verfahren streitgegenständliche Thermofenster garantiert die gesetzeskonforme Abgasreinigung nur zwischen 15 und 33 Grad. Der Kläger hielt das Software-Update für unzulässig. Der Oberste Gerichtshof in Österreich ließ nun vom EuGH das Thema Update klären.

 

Der EuGH schlug sich in seinem Urteil auf die Seite der Verbraucher. „Eine Einrichtung, die die Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoffoxidemissionen nur innerhalb des Thermofensters gewährleistet stellt eine nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 grundsätzlich unzulässige Abschalteinrichtung dar“, teilte das Gericht am 14. Juli 2022 mit. Der Gerichtshof wies zum einen darauf hin, dass Umgebungstemperaturen von weniger als 15 Grad Celsius im Unionsgebiet üblich sind. „Zum anderen sind die auf Unionsebene festgelegten Emissionsgrenzwerte auch dann einzuhalten, wenn die Temperaturen deutlich unter 15 Grad Celsius liegen.“ Die Software schränkt die Wirkung des Emissionskontrollsystems bei normalen Nutzungsbedingungen ein.

Der Einsatz des Thermofensters zur Schonung von Anbauteilen wie Abgasrückführventil, AGR-Kühler und Dieselpartikelfilter ist aus Sicht des Gerichts unzulässig. Eine Abschalteinrichtung wäre nur dann akzeptabel, wenn unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall bestünden. Also „Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen.“ Der Gerichtshof weist jedoch in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Ausstattung mit einer Abschalteinrichtung nicht allein deswegen notwendig sein kann, um den Motor vor Verschmutzung und Verschleiß zu schützen.

 

Diesel-Fahrern könnte jetzt die Stilllegung im Abgasskandal drohen

Auch in dem Nachfolgemodell des Skandalmotors – dem EA288 – befindet sich ein Thermofenster. Auch die meisten anderen Hersteller wie Mercedes, Opel und Fiat verwenden in ihren Dieseln diese Art der temperaturgesteuerten Abschalteinrichtung.

 

EuGH und BGH

Allerdings hat der EuGH in diesem Verfahren nicht über die Frage entschieden, ob auch Schadensersatz gegen die Hersteller verlangt werden kann. Hier vertritt der Bundesgerichtshof (BGH) die Ansicht, dass das "Thermofenster" jedenfalls keine sittenwidrige Schädigung darstelle. Der BGH fordert den Nachweis des vorsätzlichen Handelns nach §826 BGB. Doch auch in diesem Fall ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. In einem weiteren Verfahren am EuGH hat der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen am 2. Juni 2022 die Ansicht vertreten, dass die EU-Abgasregeln auch Rechte von Dieselkäufern schützt. Der BGH sieht das anders. Der Generalanwalt hat vorgeschlagen, dass Verbraucher im Abgasskandal generell Schadensersatz zustehen soll, wenn die Hersteller fahrlässig gehandelt haben und eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden ist. Darüber hinaus plädierte der Generalanwalt dafür, die Autohersteller so zu bestrafen, dass die Strafe Wirkung zeigt. Gerade die von Klägern zu zahlende Nutzungsentschädigung an die Autohersteller schmälert den Schadensersatz – frisst ihn gar auf. Mit diesem nächsten Urteil wird bis Ende des Jahres gerechnet. Hier können große Teile der BGH-Rechtsprechung auf den Kopfe gestellt werden.

 

Rechtsanwalt Thomas Schmidt aus Berlin-Brandenburg teilt die Auffassung der Rechtsanwälte Dr. Stoll & Sauer und rät ebenfalls Diesel-Fahrern, ihre Ansprüche erneut anwaltlich prüfen zu lassen bevor diese vollständig verjähren. Bei Neuwagenkäufen können 10 Jahre lang nach dem Kauf noch Schadensersatzansprüche gegen Hersteller geltend gemacht werden. Eine Verkehrs-Rechtsschutzversicherung, die vor dem Kauf abgeschlossen wurde vermeidet dabei das Kostenrisiko. Erstberatungen werden problemlos von den Versicherungen übernommen.