70 Diesel-Anwälte reichen Beschwerde gegen BGH-Richter ein

23. Juni 3021: Eine Allianz von Kanzleien fordert dienstrechtliche Maßnahmen gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof (BGH), Stephan Seiters. „Wir haben heute eine Dienstaufsichtsbeschwerde bei der BGH-Präsidentin Bettina Limperg eingereicht“, sagt Prof. Dr. Julius Reiter von der Kanzlei baum reiter & collegen, die die Beschwerde initiiert hat. Seiters habe „die Grundrechte von Dieselklägern in eklatanter Weise verletzt“.
 
Nach Erkenntnissen der Anwälte hat der Vorsitzende Richter der VI. BGH-Zivilkammer die Oberlandesgerichte gedrängt, Diesel-Verfahren zu verzögern. Das belegt ein Schreiben des damaligen Präsidenten des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden, Gilbert Häfner, vom April 2020. Darin bat er sämtliche OLG-Präsidenten, Entscheidungen in Diesel-Verfahren zurückzustellen – und berief sich explizit auf eine Mitteilung von Seiters, in der es hieß: Sein Senat sei „dankbar für jedes Verfahren“, das die Berufsgerichte zunächst zurückstellen könnten.   


 
„Schwerwiegender Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien“
 
Mit den übrigen Mitgliedern der VI. Zivilkammer war diese Mitteilung nicht abgestimmt. „Herr Seiters hat damit eigenmächtig Einfluss auf die Verfahren bei den Instanzgerichten genommen“, rügt Reiters Kanzleipartner, der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum. „Das war ein schwerwiegender Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien und erschüttert das Vertrauen in die Justiz.“
 
Seiters‘ Vorgehen hatte weitreichende Folgen, wie eine aktuelle Verfügung des OLG München zeigt (Aktenzeichen 7 U 7019/20). „Der Senat beabsichtigt insbesondere auch auf ausdrückliche Bitte des Vorsitzenden des VI. Zivilsenats des BGH, die Diesel-Abgasfälle erst dann zu terminieren, wenn eine höchstrichterliche Entscheidung ergangen ist“, heißt es darin.
 
„Wir verstehen durchaus, dass die Vielzahl von Dieselklagen für eine erhebliche Belastung beim BGH gesorgt hat“, erläutert Reiter. „Das darf aber nicht dazu führen, dass der Rechtsweg de facto verkürzt und Klägerrechte eingeschränkt werden.“ Kläger hätten schließlich keine andere Wahl gehabt, weil VW einen Vergleich verweigert habe. Zudem habe sich die Musterfeststellungsklage gegen den Konzern als nicht hinreichend effizient erwiesen.

Unabhängigkeit der Justiz  
 
„Auch bei einer erheblichen Belastung der Gerichte haben Bürger Anspruch darauf, dass sich Richter mit ihren Fällen und ihren Argumenten befassen“, ergänzt Gerhart Baum. In instanzgerichtlichen Verfahren zum Dieselskandal würden immer wieder neue Aspekte auftauchen und rechtlich zum Tragen kommen.
 
„Ich finde es deshalb ungeheuerlich, wenn ein BGH-Richter seinen Kollegen an den Oberlandesgerichten vorgreifen will“, kritisiert Baum. Das ist ein Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz, die gerade Bundesrichter verteidigen sollten.